Mesut Özil und der Masterplan

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( 8 Minuten) Noch letzte Woche, pre-Twitter Drama, hab ich ja gedacht, in meiner Aufregung und Entsetzen um die unendlich unsäglich geführte Debatte um die verschissenen Bilder, das ich den Diskurs-Spiess nonchalant umdrehe und behaupte, das Mesut Özil diese Bilder bewusst gemacht hat, um uns alle vorzuführen. Das Mesut Özil, frei nach Seehofer, einen Masterplan geschrieben hat: einen Masterplan zur Aufdeckung des gesellschaftlichen Rassismus in Deutschland im Jahre 2018! Kühne These, mag jetzt manch einer denken, aber die These schien nicht so kühn wie der Plan genial. Ich wollte die Tröte zum handelnden Akteur mit Plan und Programm machen, da mir die Debatte und die Art wie sie geführt wurde, gewaltig gegen den Strich ging. Warum sollte Mesut Özil nicht den Rassismus, der ihm bestimmt selbst nicht selten genug widerfahren ist, aufdecken wollen? Gründe genug hatte er ja.

Meine These:

“ Der Kontext 2018 in Deutschland ist: die AfD bestimmt den Diskurs über die Flüchtlings- und Asyldebatte, die Integrationsdebatte sowie den Umgang der Mainstream-Medien mit denselbigen. Konservative wie auch linke Parteien haben keinen Plan, was zu tun ist mit den rechten Idioten. Die Bilder wirken in diesem Kontext. Özil, der Sündenbock, ist das Bild, welches medial grossflächig transportiert wird. Dieses Framing bedeutet, dass jemand, der eine Sünde begangen hat, dafür büssen muss. Er muss sich entschuldigen, er muss aus der Nationalmannschaft, er soll zurück nach Anatolien, er muss, er sollte etc.pp In Zeiten der nationalen Krise und Misere, in der die Afd die Politik wie die Sau durch’s Dorf treibt fällt vielen nichts Besseres ein, als zwei Spieler über die Klippe springen zu lassen, statt über wichtigere Dinge zu sprechen.

Politik, Gesellschaft wie auch Medien stürzen sich wie von Sinnen auf das Bild mit Erdogan und lösen eine bundesweite Debatte über Opportunismus und Rassismus aus. Herkunftsdeutsche können bis heute nicht verkraften, dass der Türke z.B. die Nationalhymne nicht mitsingt. Das er jetzt auch noch eigenmächtig Fotos macht, lässt sie den Fehdehandschuh vor Özil‘s Spikes werfen. Viele hingegen bekennen sich zu Özil und Co., bedauern und analysieren die Entgleisungen und schreiben gutgemeinte bis gute Kommentare zum Thema Integration und Rassismus.

Wohlgemeinte Empfehlungen aus Politik, Sport und Medien

Ganz Almanya meint, seine 50 Cents zum Thema beisteuern zu müssen. Dieser Kessel Buntes an zumeist Bio-Deutschen, die meinen, einem erwachsenen, mündigen, erfolgreichen Menschen, Fussballer und deutschem Nationalspieler sagen zu müssen, wie das alles geht in Almanya:

  • was er nicht tun sollte: Fotos mit Autokrat/Despot/ Diktator
  • Was er sagen sollte, wenn er es getan hat: Entschuldigung!
  • Was er zeigen sollte: Aufrichtige Reue!
  • Was er singen sollte: die Nationalhymne! Die deutsche!
  • Was er nicht tun sollte, wenn die deutsche Nationalhymne ertönt: beten, zu Allah.
  • internalisieren und respektieren sollte: die deutschen Werte und Leitkultur
  • Nachschlagen sollte: die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie

Warum politisches Interesse kein Ausschlusskriterium für Arschlochsein bedeutet.

Mesut Özil hat sich in Interviews oft verweigert über Politik, deutsche oder türkische, zu sprechen. Die Tatsache, dass er nicht über Politik redet, heisst im Umkehrschluss nicht, dass er nicht politisch ist oder eventuell Erdogan nicht gut findet. Jeder Mensch hat ein Recht auf seine politische Meinung. Wir leben in der Demokratie und die lebt wiederum vom Pluralismus. Im Pluralismus existieren eine Vielzahl von verschiedenen Meinungen und politischen Vorlieben. Im deutschen Parlament in Berlin sitzen linke, christlich-konservative, sozialdemokratische, liberale, grüne und neuerdings auch faschistische Parteien. Menschen aus allen diesen Lagern können eine Tendenz zum Arschlochsein haben, vielleicht gehört Mesut Özil dazu. Es gibt eine Menge Arschlöcher, die mir persönlich nicht passen: das kann ein amtierender Präsident sein, Nazis, abgehalfterte Ex-Nationalspieler wie Mario Basler, der im Özil-Bashing durch die Talkshows tingelt und in bester deutscher Grammatik markige Sprüche wie „Özil dem seine Körpersprache ist die von einem toten Frosch.“ feilbietet. Das ist für mich die gesamte AfD Partei. Es können Bio-Deutsche als auch Kanaken oder Refugees sein, Frauen oder Männer. Arschlochsein ist ein universales Recht, von dem leider erstaunlich viele Menschen Gebrauch machen. Und wir müssen das aushalten, in der Demokratie.

Wir müssen reden

Wir müssen alle mehr über Rassismus, institutioneller als auch gesellschaftlicher, reden. Über Arschlöcher in der Gesellschaft, über den eigenen und den kollektiven Rassismus, über was schiefgelaufen ist mit der Integration und was gutgelaufen. Was können wir besser machen, was sollte mal langsam auf den Müllhaufen der Geschichte. Da wäre z.B. das periodisch immer wieder auftauchende Gespenst aus Leidenschaft: die Drohung mit der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft oder wie jetzt in diesem Fall die Drohung mit dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft. Die Debatte gehört auf den Müllhaufen, weil sie in keinster Weise einen Beitrag leistet, außer der Spaltung der Gesellschaft. Die laufende Debatte spaltet bereits extrem- Migrant*innen in gute Kanaken und böse Kanaken. Über die im Bundestag als Kopftuchmädchen und Messermänner schwadroniert wird, von der demokratisch gewählten Fascho-Partei. Die als Hybrid zwischen Deutsch- und Anderssein von der deutschen Mehrheitsbevölkerung nicht fassbar ist. Die kein zusammenhängendes Ganzes ist, in sich nicht homogen und sich laufend demografisch verändert. Wir, das sind Millionen von Einwander*innen und ihre Kinder, sind Teil der deutschen Gesellschaft in der wir leben, egal ob die Bio-Deutschen es sich vorstellen können oder nicht und „zurück gehen“ wird auch niemand. Deutschland braucht Einwanderung und es wäre besser beraten, die Bedingungen dafür als auch die gesellschaftliche Kultur dafür vorzubereiten. Mit der Schaffung kluger Instrumentarien für die Integration der neuen Einwanderungsbewegung hat Deutschland erneut die Chance ein Zeichen zu setzen, wie damals im Sommer 2015.

Der Blick auf die Anderen verrät viel über einen Selbst

Die Debatte läuft auf Hochtouren und mittlerweile müsste jede/r den Schuss gehört haben, das es nicht mehr darum geht zu urteilen, warum Özil oder Gündogan die Fotos gemacht haben, sondern sich jetzt anzuschauen, was die Fotos mit Deutschland machen. Das vielbesagte zweierlei Mass mit dem gemessen wird, zeigt sich genau in der Reaktion auf solche Bilder. Wenn es Angie mit Erdogan tut, Loddar Matthäus mit Wladimir Putin oder Crazy Horst mit Orban, ist die Kritik moderat und sachlich. Wenn es zwei Deutsche mit Migrationshintergrund sind, ist das Geheul gross.

Während der hitzigen Debatte wird Mesut Özil oft vorgeworfen, dass er ein falsches Signal an die migrantischen Kids schicken würde, indem er sich mit Erdogan hat ablichten lassen. In keinem Artikel habe ich einen O-Ton eines migrantischen Kindes oder Jugendlichen gelesen, welches die Bilder kommentiert hätte. Welche Symbolkraft bzw. Signalwirkung diese Bilder oder sein Rücktritt auf migrantische Menschen haben könnten erfährt man am besten wenn man mit ihnen spricht. Aus meiner Erfahrung und Umfeld kann ich sagen: Migrant*innen haben eine eigene Meinung, sind autark denkende Individuen und können selbst entscheiden, wie sie die Aktion von Mesut Özil und Ilkay Gündogan finden. Manche werden sie gut finden, manche beschissen, manche werden sie kritisch beurteilen. Was aber die meisten von uns durchweg richtig beschissen finden, ist die Debatte, die darum geführt worden ist und wie sie geführt worden ist.

Warum? Eben diese hässliche Debatte mitsamt des öffentlichen Nachtretens durch den DFB, die Medien Artikel, die rassistischen Hate-Kommentare als auch die gutgemeint kritischen Hate-Kommentare, die Talkshows, die Buh-Rufe und Pfeiforgien gegen Özil und Gündogan, hat auf 60 Jahre Migrationsgeschichte in Deutschland gespuckt, wie Jilet Ayse, ihres Zeichens geniale Kabarettistin, in ihrem Video erklärt. Die Debatte zeigt, wie Hans, der Deutsche, wirklich denkt, wo er Ali, den Türken, haben will. Nämlich in seiner Deutungshoheit: wer gut integriert ist, entscheidet immer noch er. Was die Debatte aber noch viel besser zeigt, ist, das er sie nicht mehr hat, die Hoheit. Deutsche Autor*innen, zumeist mit Migrationshintergrund, schreiben gegen den Mainstream Diskurs an. Özlem Gezer schreibt im Spiegel 29/18 in ihrem Leitartikel „Haustürken“: Mesut Özil schweigt. Er entscheidet sich nicht und steht stellvertretend für eine Generation von Migrantenkindern, die sich nicht mehr so wegsortieren lassen, wie es die Gesellschaft gewohnt ist von ihren Eltern. Junge Deutsche, denen man ihr Deutschsein zwar nie wirklich abgenommen hat, denen man es aber auch nicht mehr nach Belieben entziehen kann.“ Dunja Ramadan schreibt in der Süddeutschen: „Dass Menschen Heimaten haben können. Dass es engstirnig ist zu fordern, sich für ein Land zu entscheiden. Das müssen sie eben nicht. Sie müssen als Bundesbürger zu Werten wie Meinungs- oder Religionsfreiheit stehen, ja. Aber ob sie sich „deutsch“ oder „türkisch“ oder beides fühlen, entscheiden sie selbst. Die Autor*innen erklären aus ihrer Perspektive was an der Debatte schief läuft und das das Deutschsein eben nicht nur mehr von Bio-Deutschen diktiert wird in 2018.

Warum Integration neu gedacht werden muss

Integration ist keine Einbahnstrasse und ist nicht nur eine Bringschuld von Seiten der Migrant*innen bzw. Flüchtlingen oder Einwander*innen. Integration heisst auch eine Kultur zu schaffen, in dem neuankommende Menschen sich wohl, sicher und willkommen fühlen. Deutschland hat sich mit dieser Kultur immer sehr schwer getan. Eine Umfrage unter Arbeitsmigrant*innen der ersten Generation würde schnelle Erkenntnisse bringen, zum Thema institutioneller und Alltagsrassismus. Die Menschen waren dankbar, hierher kommen und arbeiten zu dürfen, ihren Teil zu Deutschland beitragen zu dürfen. Es wurde ihnen nie ausreichend gedankt, ausser mit dem ewigen Stigma des „Gastarbeiters“. Die Migrant*innen, die seit über 60 Jahren hier leben, kriegen mit dieser Debatte wieder den Beweis für ihre Vermutung geliefert, das sie nie dazugehören werden. Das mit zweierlei Mass gemessen wird, die guten Kanaken und die bösen Kanaken. Heute Özil morgen ich.“

P.S: das war letzte Woche, bevor Mesut Özil seine Twitter Trilogie über die sozialen Medien schickte und meine steile These ad absurdum führte. Jetzt ist er die beleidigte Leberwurst und anstatt in die Diskussion zu gehen, macht er sich vom Acker. Er hatte weder Plan noch Programm, aber hat dann die Debatte für sich clever genutzt. Ob Mesut Özil ein Faschist ist in der Tradition seines Despoten mag dahingestellt sein, dass er gewiss keine Probleme mit seiner Politik hat, steht für mich nicht infrage. Er kann toll finden, wen er will, aber ich muss es nicht gutheißen. Genauso wenig wie die Menschen es nicht gutheißen, die in der Autokratie Erdogan’s leben müssen. Das er rassistisch angegriffen wurde ist mitnichten in Ordnung.

Deutschland hat seine Gesellschaftskritik vernommen. Wir wissen jetzt, wie es aussieht in Schland 2018 und können anfangen die Ärmel hochzukrempeln. Eine Allianz gegen Rechts und Faschismus ist die Devise und die ist nur mit einem breiten Bündnis aus Kartoffeln und Kanaken jeglicher Herkunft und sozialer Klasse zu gewinnen.